Synopses & Reviews
Uwe Johnson's Anniversaries (Jahrestage) is a project in narrative appropriation of the past by an individual subject. The problem of memory justifies a comparison with Proust's A la recherche du temps perdu. The method applied to making this process of understanding itself understandable is the hermeneutic reconstruction of the evolution of the text from its documentary sources, published here for the first time, and an interpretation of the narrative techniques employed. In ten separate analyses the chapters or 'anniversaries' stand revealed as experimental recountings of biographically acquired insights. In contrast to the customary classification of the work as realistic, it becomes evident that what Anniversaries does is to use the formal repertory of classic literary modernism to recount history in story form and in this way to challenge established historiography to rethink its position.
Synopsis
Der Stoff der "Jahrestage" ist die Stellung des Individuums gegenber der Geschichte. Er konkretisiert sich in der fiktiven Person der Gesine Cresspahl, die auf ihren Lebensweg und damit auf die deutsche Geschichte seit den 30er Jahren zurckblickt. Die Kapitel der einzelnen Jahrestage sind daher als das stets erneute Experiment der "Suche nach der verlorenen Zeit" zu lesen und konfrontieren den Leser mit der Frage, was Gesine im Spannungsfeld zwischen New Yorker Gegenwart und mecklenburgischer Vergangenheit denn gefunden hat.
Das methodische Verfahren, nach dem dieser Verstehensproze selbst verstehbar wird, ist die hermeneutische Rekonstruktion des Textgeschehens: erstens aus der kommentierenden Erschlieung dokumentarischer Quellen, die hier erstmals publiziert werden, und zweitens aus der interpretierenden Diskussion, wie die Erzhlung diese Materialien selbst interpretiert und welche Bedeutung sie fr die Cresspahlsche Biographie erlangen. In zehn exemplarischen Lektren wird ersichtlich, da die Tageskapitel, jenseits der sprachlich wie thematisch disparaten narrativen 'Oberflche', als in sich geschlossene Geschichten von Erkenntnissen komponiert sind.
So vielfltig das Erzhlgeschehen auch sein mag, so deutlich zeichnen sich einige Grundzge zu einer Poetik der "Jahrestage" ab: (1) ein Urteil ber das Erkenntnisvermgen der menschlichen Erinnerung, die Johnson von Proust trennt, (2) eine reflexive Brechung des literarischen Realismus, auch des Brechtschen, so da man von moderner Erzhlkunst sprechen kann, (3) eine sehr kritische Haltung zum Marxismus und (4) eine besondere Option zum Schreiben von Geschichte: nmlich in einzelnen Geschichten, die keine Totalitt erzeugen, die aber neben przisen historischen Erkenntnissen, in Anlehnung an Benjamin, auch Erfahrungen vermitteln knnen. Mit dem formalen Instrumentarium der klassischen literarischen Moderne formulieren die "Jahrestage" eine metonymische Erzhlsthetik, die die Geschichtsschreibung zur vergleichenden Diskussion einldt.